Die Geheimnisse der Grand Central Station
Von Florian Ankner am
Mit 200 000 Besuchern täglich ist sie nach dem Times Square die zweitbeliebteste Sehenswürdigkeit Manhattans: Die Grand Central Station in New York. Um den größten Bahnhof der Stadt ranken sich aber auch Geheimnisse, die nur die wenigsten Touristen kennen dürften.
Bahnhöfe haben einen ganz eigenen Charme. Sie bilden einen kleinen Kosmos zwischen Hektik, Freudentränen und Verabschiedung. Im größten Bahnhof New Yorks, der Grand Central Station, ist das nicht anders. Zehntausende Menschen drängen sich täglich durch die große Halle und die unterirdischen Gänge. Während die New Yorker meist keinen Blick mehr für die Schönheit des Beaux Arts Gebäudes haben, recken Touristen die Köpfe in die Höhe und versuchen die Pracht des außergewöhnlichen Bahnhofs aufzusaugen. Dabei sind sie wie Slalomstangen, um die sich die Bahnreisenden schlängeln, immer auf der Suche nach dem schnellsten Weg zum Anschlusszug oder zu einem der vielen Taxis, die vor der Tür an der 42. Straße warten.
Während in der Rush Hour zwischen halb acht und zehn Uhr morgens ein reges Treiben in der Grand Central Station herrscht, kehrt anschließend für ein paar Stunden eine kleine Ruhepause ein. Erst um die Mittagszeit füllen sich die Gänge wieder. Arbeiter aus den umliegenden Gebäudekomplexen verbringen in dem Gebäude dann ihre Mittagspause in einem der vielen Restaurants. Forellen aus Idaho, Lachse aus Alaska, Schinken aus Tirol, Pecorino aus der Toskana oder Schaumwein aus der Champagne warten auf Gourmets. Doch es gibt auch einen Ort in einer der größten Sehenswürdigkeiten New Yorks, an den sich selbst wenige Einheimische verirren: das Campbell Apartment. Es ist das Arbeitszimmer, das einst dem Vorstandsmitglied der Central Railroad – John W. Campbell – gehörte.
Im Jahr 1923 ließ Campbell das Büro aufwendig renovieren und wollte das Ebenbild eines florentinischen Palasts aus dem 13. Jahrhundert erschaffen. Alleine Tische, Stühle und die Kunst an den Wänden des Zimmers sollen damals mehr als eine Million Dollar gekostet haben. Heute, knapp 100 Jahre später, erinnert kaum noch etwas an das Arbeitszimmer von damals, auch wenn es vor knapp 20 Jahren aufwendig für zwei Millionen Dollar restauriert worden ist. In dem acht Meter hohen Raum werden mittlerweile Cocktails und kleine Speisen serviert. Acht Jahre, von 1999 bis 2007, dauerte die Renovierung des Raums, um ihn wieder in den Originalzustand zu versetzen – inklusive Kamin und Bemalungen an der Decke.
„Wie seid ihr denn auf das Apartment gestoßen?“, fragt uns Victoria, eine Kellnerin der Bar. Ihrer Aussage nach finden nur wenige Touristen den Weg in diesen prächtigen Raum. Selbst im Internet ist kaum etwas über das ehemalige Arbeitszimmer Campbells zu finden, das nach dessen Tod zwischenzeitlich als Polizeistation und Gefängnis des Bahnhofs diente. Anhängern der Serie Gossip Girl dürfte es dagegen bekannt vorkommen: Denn eine Szene spielt in dem ehemaligen Büro.
Während Besucher vor allem von Atmosphäre und Pracht des Raums fasziniert sind, ist für Kellnerin Victoria etwas anderes das Highlight der Bar: der Kamin. Wie früher steht Campbells Safe in der Feuerstelle. Der Eisenbahner soll laut Überlieferung keine Verwendung für einen Kamin gehabt haben.
Das Campbell Apartment ist jedoch nicht das einzige Geheimnis, das sich in der Grand Central Station verbirgt. Denn kaum jemand weiß, dass der Bahnhof weltweit nicht nur die meisten Zuggleise hat (67 Gleise auf 44 Bahnsteigen), sondern auch der flächenmäßig größte ist. „Die ganze Park Avenue ist auf unserem Dach gebaut“, sagt Daniel Bruckner, der als Reiseführer in der Grand Central Station arbeitet. „Der Bahnhof erstreckt sich insgesamt von der 42. bis hinauf zur 97. Straße, eine Größe, die man sich kaum noch vorstellen kann.“ Insgesamt beträgt die Fläche des Arials 198 296 Quadratmeter (49 Acre) und ist damit vergleichbar mit der Größe von 28 Fußballfeldern.
Daniel nennt noch ein weiteres Geheimnis, das zwar nicht unsichtbar, aber für viele Besucher der großen Terminal-Halle dennoch unbekannt ist: Die Abfahrtszeiten der Züge, die an großen Leuchttafeln angezeigt werden, sagt Daniel, sind alle falsch. Alle Züge fahren eine Minute später ab, als es auf der Anzeigetafel steht. Damit soll vermieden werden, dass zu viel Hektik im Bahnhof entsteht. Ein Trick, der wohl nur so lange hält, bis man ihn erst einmal kennt.
Auch ein weiteres Geheimnis ist im Terminal zu bestaunen: Eine Stelle an der nordöstlichen Ecke der Decke ist schwarz – und das zwischen der ansonsten farbigen Bemalung. Vergessen zu streichen, hat sie allerdings niemand. Das kleine Eck blieb bei der Restaurierung in den 1990er-Jahren, als Nikotin und Rus aus der Halle entfernt worden sind, mit Absicht schwarz – als Mahnmal.
Zum Campbell Apartment gelangt ihr über eine Tür am Seiteneingang an der Vanderbilt Avenue. Die Bar befindet sich dann im ersten Stock rechter Hand und ist täglich von 12 Uhr bis 2 Uhr nachts geöffnet.
© Fotos: Madeleine Schuster/Florian Ankner